0.1 Die Macht von Frames verstehen

Der Fokus dieses Kapitels liegt auf den Schlüsselprinzipien von Frames und Reframing. Ziel ist es zu verstehen, warum es für Menschen so schwer ist, ihre Meinung zu ändern, sobald sie sich bei einem bestimmten Thema auf einen Frame festgelegt haben – insbesondere bei solchen, die Emotionen wecken. Zudem geben wir einen Überblick darüber, wie dominante Frames in öffentlichen Debatten oder den Medien aufgebaut sind und beschreiben so die Herausforderung für Aktivist*innen. Dabei stützen wir uns auf viele Theorien aus unterschiedlichen Disziplinen und Kampagnen aus der Praxis.

Beginnend mit unserer Definition:

Frames sind die Geschichten oder Rahmen, die wir nutzen, um die komplexe Welt zu verstehen. Durch die Sozialisation in unseren Gemeinschaften bzw. Communities werden diese Frames Teil unserer Identität und letztendlich unseres „Common Sense“, also des „gesunden Menschenverstandes“. Solche Rahmen oder Geschichten sind so fest in uns verankert, dass diese leicht durch ein einzelnes Bild, ein Wort, einen Satz, eine Metapher oder eine Erzählung angesprochen werden können. Sobald ein Frame angesprochen wurde, glauben wir, die komplette Geschichte zu verstehen – inklusive des Wesens des Problems, wer Schuld hat und welche Lösungen es gibt1

 

Aufschlüsselung der Elemente der Definition und der Auswirkungen für Aktivist*innen:

Frames sind die Geschichten, die Teil unseres Common Sense, also gesunden Menschenverstands werden.

Geschichten zu politischen Themen werden über einen Prozess der Sozialisierung stark, angefangen von einer Erklärung zu einem Thema, die zu einem Identitätsmarker für eine bestimmte Gruppe und schließlich zu einer Art Common Sense der Gruppe wird. In dieser Entwicklung gibt es vier Kernaspekte von Frames, die wichtig für ihr Verständnis sind:

  • Eine vollständige Geschichte/ein vollständiges Narrativ – Einfach gesagt sind Frames Geschichten, die wir nutzen, um komplexe und schwierige Probleme des Lebens wie Migration oder Klimawandel zu verstehen. Ein Frame ist eine vollständige Geschichte oder ein vollständiges Narrativ, das üblicherweise die Natur des Problems abdeckt, seine Ursachen, wer die Guten sind, wer die Schuld trägt und was die Lösungen sind. Natürlich ist es nur eine Geschichte mit vielen Möglichkeiten, ein Problem zu interpretieren und auszuwerten – indem wir uns für eine Geschichte entscheiden, konzentrieren wir unsere Aufmerksamkeit auf einige Bereiche/Anliegen und ignorieren andere2 .
     
  • Meine Problemerklärung/Position - Wenn ein neues Problem Teil der öffentlichen Diskussion wird, stellen wir uns auf den Mainstream und soziale Medien ein, sprechen es mit Freund*innen durch und übernehmen, normalerweise angeleitet durch unsere Werte und politischen Bindungen, eine Position oder einen Frame zu dem Problem. Die Art der Geschichten, für die wir uns entscheiden, ist der Schlüssel, weil sie „oft bestimmt, wer unsere Solidarität oder unsere Verachtung, unser Mitgefühl oder unsere Ablehnung, unsere Angst oder Treue verdient“3 .
     
  • Unsere Gemeinschaftsgeschichte – Durch den Prozess der Festlegung auf einen einzelnen Frame stimmen wir uns überwiegend mit den Ansichten unserer politischen Gruppe ab und machen den Frame zu unserem „Go-To“-Verständnis des Problems. Mit der Zeit werden diese Frames auch zu sehr geschätzten Geschichten unserer politischen Gemeinschaft, was unsere Bindung an den Frame weiter zementiert bis zu einem Punkt, an dem er wahrscheinlich zu einem Marker unserer Gruppenidentität wird.
     
  • Mein gesunder Menschenverstand/Common Sense – Über einen längeren Zeitraum werden die Geschichten zum Teil des politischen Rückgrats und zwar bis zu einem Punkt, an dem sie tatsächlich Teil unseres „kognitiven Unbewussten“4 , oder, um es einfacher zu sagen, unseres „gesunden Menschenverstands“ werden. Deswegen werden sie so leicht durch ein Bild, ein Wort oder einen Satz, eine Metapher oder eine Geschichte getriggert5
    Abbildung 1: Die sich entwickelnde Macht von Frames durch Sozialisation

     


Um die aktuellen Frames aus dem gesamten Spektrum der deutschen Migrationsdebatte zu illustrieren, haben wir eine Social-Media-Analyse6  in Auftrag gegeben – basierend auf unserer Analyse haben wir die folgenden sieben Frames als am häufigsten identifiziert:

Abbildung 2: Frames in der deutschen Migrationsdebatte

 

Die Menschen lassen sich mehr von Frames als von Fakten leiten.

Eine unserer beliebtesten und anschaulichsten Erklärungen für den Framing-Effekt ist, dass dieser Ansatz eine Form der „kulturellen Akupunktur“7  ist. Als beispielsweise der Premierminister David Cameron 2015 von einem „Schwarm“ von Migrant*innen sprach, brauchte er keine andere Erklärung, um eine ganze Reihe negativer Konnotationen zu wecken.

Für Aktivist*innen ist es zentral zu verstehen, wie verbunden wir diesen Geschichten sind – tatsächlich ertragen wir als „Muster suchende, Geschichten erzählende Tiere“ die Abwesenheit von Sinn nicht, der mit diesen Mustern etabliert wird8 . Es ist allgemein bekannt, dass Menschen sich mehr von Frames als von Fakten leiten lassen, und das erklärt auch, warum faktenbasierte, Gerüchte zerstreuende Ansätze oft nicht funktionieren, und auch, warum Aktivist*innen häufig solche emotionalen Reaktionen bekommen, wenn sie bestehende Frames herausfordern. Gelingt es uns aber auf der anderen Seite, uns an den „gesunden Menschenverstand“ zu wenden und so einen Riss in der bestehenden Geschichte zu erzeugen (eine kognitive Dissonanz auszulösen), dann haben wir wirklich eine Gelegenheit, die Geschichte zu verändern. Das ist die Absicht des Kampagnenansatzes, der in diesen Leitlinien beschrieben wird.


Die Herausforderungen von dominanten Frames, Mainstreaming und voreingenommenen Blasen

Frames, die haften bleiben bzw. resonant, kohärent und zugänglich sind, von Quellen stammen, denen wir vertrauen, und oft wiederholt werden, haben eine sehr gute Chance, zu Konkurrenten existierender Frames und schließlich zur dominanten Geschichte über ein politisches Problem zu werden9 . Laut der Literatur bestimmt ein einzelner dominanter Frame in den Medien oft die gesamte Debatte und setzt die öffentliche Agenda10  – ist er erst einmal etabliert, fällt es sehr schwer, Sendezeit für irgendeine neue Geschichte zu finden, die nicht zu dieser Linie passt11 . Die Medien spielen eine große Rolle bei der Normalisierung oder dem Mainstreaming von dominanten Frames und sie tun das oft in Form von „ordentlichen Mediennarrativen“, die derartige politische Geschichten grob vereinfachen und überdramatisieren12 , insbesondere Boulevardzeitungen, die wichtig für das Erreichen der beweglichen Mitte sind. Wie bereits erwähnt wird aus politischer Perspektive ein solcher Frame, der einmal etabliert ist, die Grenzen „akzeptabler“ politischer Optionen setzen13 . In dieser populistischen Ära bilden Frames von kultureller Invasion, der wahrgenommenen Bedrohung durch den Islam und dem Verlust von Kontrolle/Sicherheit den Mainstream in der Migrationsdebatte und setzen die Grenzen für die Migrationsagenda.
 
Unsere natürliche emotionale Neigung, Realität durch die Werte und Frames unserer politischen Verbündeten zu klären, wird in letzter Zeit durch soziale Medien noch verstärkt: Diese erlauben uns den Aufbau einer Welt aus all den Meinungen, die uns buchstäblich „gefallen“. Nach vielen der jüngsten Wahlergebnisse hat sich auch gezeigt, dass soziale Medien die Parteilichkeit erhöhen, was zu intensiven Reflektionen über den Umgang mit Blasen („Bubbles“), Silos und Echokammern in einer demokratischen Debatte geführt hat. Das Internet hat einen nahezu freien Zugang zu allen Arten von Daten und Ablenkungen ermöglicht. Indem es Parteilichkeit vorantreibt, ist der Raum mittlerweile zu einer „Aufmerksamkeitsökonomie“ geworden: In diesem Raum konkurrieren „Clickbait“-Schlagzeilen, angetrieben von Empörungs-Frames, darum, uns auf ihre Seite zu ziehen, um ihre Werbeeinnahmen zu steigern und auch unsere emotionale Bindung aufzubauen, in diesem Online-Raum zu bleiben14 . In der Informationsüberflutung der Aufmerksamkeitsökonomie können sich zudem „Symbole gegen Substanz durchsetzen“ und die Kurzformeln der Meme-Kultur werden anstatt wohlüberlegter Analysen zu einem wichtigen Treiber politischer Debatten15 . Diese Prozesse der Produktion und Reproduktion konkurrierender Frames in einer überparteiischen Welt sind wichtige Grundprinzipien für dieses Toolkit und einen emotional klugen Ansatz für Narrative-Change-Kampagnen.

 

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