4.4 Bereitet Euch darauf vor, Eure Position zu verteidigen

Der vierte Schritt des Planungsprozesses für Eure Narrative-Change-Kampagne - Durchführung der Kampagne - besteht aus vier Elementen. Auf dieser Seite konzentrieren wir uns auf das letzte Element: Bereitet Euch darauf vor, Eure Position zu verteidigen.

DURCHFÜHRUNG DER KAMPAGNE
Elemente
  1. Bestimmt eine Reihenfolge für die Kampagnenphasen.

  2. Seid gut vorbereitet und fangt an.

  3. Überwacht Eure Aktivitäten.

  4. Bereitet Euch darauf vor, Eure Position zu verteidigen.

 

In der Migrationsdebatte wird derzeit heftig gestritten. Gleichzeitig bauen viele starke politische und fachliche Akteur*innen ihre Karriere und ihren Ruf auf einem bestimmten Ergebnis dieser Debatte auf. Da das Mainstreaming von Anti-Migration-Positionen leider auf dem Vormarsch ist, könnt Ihr mehr oder weniger sicher sein, dass Kampagnen, die emotional intelligent sind und offensichtlich versuchen, die Mitte zu erreichen, in Frage gestellt werden. Solche Herausforderungen können viele Formen annehmen, und wir haben sie in eine nicht vollständige Skala gestellt – von konstruktivem Input bis hin zu feindlichen persönlichen Angriffen, wie in der folgenden Abbildung dargestellt:

Abbildung 1: Skala der Herausforderungen, denen Eure Kampagne begegnen könnte

 

Die Berücksichtigung der Frage nach möglichen Herausforderungen und die Vorbereitung auf die Verteidigung Eurer Position ist daher ein wichtiger Aspekt sowohl in der Vorbereitungsphase als auch während der Umsetzung. Wir empfehlen, die vier folgenden Punkte zu berücksichtigen.


Seid bereit, Eure Position in der Öffentlichkeit zu verteidigen.

Ausgehend von der Skala der oben skizzierten Herausforderungen könnt Ihr die konstruktiven Herausforderungen bis zu einem gewissen Grad selbst bestimmen, d.h. wenn niemand nach dem Start Fragen hat, könnte das eine Schwierigkeit bedeuten, da die Kampagne vielleicht wenig Zugkraft hat. Daher solltet Ihr Nachfragen begrüßen und Ihnen aktiv begegnen.

Die zweite Stufe der „Rosinenpickerei“ ist der Versuch, Eure Kampagne in eine Richtung zu lenken, die Ihr weder beabsichtigt noch plant – und ist oft ein Versuch, die Kampagne zu untergraben oder zu marginalisieren. Je nachdem, wer versucht, den Fokus zu verlagern und ob die Gefahr besteht, dass diese negative Verschiebung eine breitere Zugkraft entwickelt, müsst Ihr wahrscheinlich darauf reagieren. Das Beispiel von British Future zeigt eine Situation, in der es für die Aktivist*innen entscheidend war, zu reagieren.

FALLBEISPIEL 1 – Mohnblumen-Hijab-Kampagne – British Future – Großbritannien
Als British Future die Mohnblumen-Hijab-Kampagne veröffentlichte, waren sie mit der Berichterstattung in den Zielpublikationen überwiegend zufrieden, da sie auf ihre Kampagnenbotschaften abgestimmt war. Der Daily Mail positionierte die Kampagne jedoch so, dass die Muslima aufgefordert wurden, ihre Loyalität durch das Tragen des Hijab unter Beweis zu stellen, d.h. die Schlagzeile lautete: „Der Mohnblumen-Hijab, der sich den Extremisten widersetzt. Britische Muslima werden aufgefordert, ein Kopftuch als Symbol der Erinnerung zu tragen.“ Dieser an ein Ultimatum erinnernde Fokus war eine Positionierung, die absolut nicht mit den Zielen und Botschaften der Kampagne übereinstimmte. So wurde sofort eine Antwort zu Neu-Positionierung veröffentlicht: „Ich denke, ein Grundsatz sollte klar sein: Jede sollte ihre eigene Wahl treffen. Es gibt hier keine Loyalitätstests.“ In unserem Interview mit der Kampagnensprecherin erwähnte sie, dass sie sich wünschte, sie hätte eine solche Reaktion vorhergesehen und diese bereits beim Start abgewendet.

 

Die schwierigste Stufe der Herausforderung oder des feindlichen Angriffs ist das Trollen. Das inzwischen alte Sprichwort lautet: Füttere die Trolle nicht! Oder anders ausgedrückt: In der Abwägung, ob Ihr auf eine derartige Herausforderung eingehen solltet, überlegt, wie glaubwürdig die Angriffe tatsächlich sind und/oder ob Eure Antwort nur zusätzlich Öl ins Feuer gießen und die Trolle weiter stärken würde. Die Beratung mit Eurem Team und die Erfahrung, auf die Ihr bei der Festlegung der Strategie für die Reaktion zurückgreifen könnt, ist hilfreicher als eine unter Umständen kontraproduktive, reflexhafte Antwort aus der Hüfte zu schießen und so letztendlich der Kampagne zu schaden.
 

Formuliert Reaktionsstrategien für vorhersehbare Herausforderungen – arbeitet an einem Plan B!

Einer unserer Kollegen, der Erfahrung mit der Durchführung von Reframing-Kampagnen hat, beginnt diesen Prozess immer damit, dass er die von ihm präsentierte Erzählung buchstäblich umdreht und dann Szenarien in Betracht zieht, wie Gegner*innen am ehesten diese Erzählpositionen herausfordern oder in Frage stellen könnten. Zum Beispiel war in der Kampagne von HOPE not hate die Hauptbotschaft, dass die Erteilung der Baugenehmigung für ein muslimisches Gebetszentrum eine Frage des Religionsausübungsfreiheit sei. Zuerst würdet Ihr die Botschaft umkehren, d.h. die Baugenehmigung für ein muslimisches Gebetszentrum ist KEINE Frage des Rechts auf Religionsausübung. Beginnt von diesem Ausgangspunkt mit dem Brainstorming, z.B. wer würde so argumentieren? Und wie würden diese Personen das Argument weiterentwickeln und Eures in Frage stellen? Wie würden die Personen versuchen, den Rahmen der Diskussion neu festzulegen? Und wie werdet Ihr reagieren?
 
Ein weiterer guter Ausgangspunkt für vorhersehbare Herausforderungen sind die Antworten, die Ihr durch das Message-Testing erhalten habt. Ihr habt vielleicht bereits Anpassungen an Eurem Ansatz vorgenommen, um auf dieses Feedback zu reagieren, aber Ihr könnt sicherlich mit Feedback/Herausforderungen in ähnlichen Frames rechnen, sodass dies eine weitere gute Quelle in Eurem Vorbereitungsprozess ist.

Während Ihr nie hoffen könnt, alle möglichen Optionen für solche Antworten abzudecken, ist es nützlich, so viele Szenarien wie möglich durchzugehen und zu überlegen, wie Ihr den Fokus verlagern oder auf relativ vorhersehbare Herausforderungen reagieren würdet. Der oben beschriebene Fall von British Future zeigt etwas, mit dem man hätte rechnen können. Diese Reaktionsstrategien sind Euer Plan B, mit dem Ihr jederzeit und bei Bedarf einsatzbereit seid. Auf diese Weise werdet Ihr nicht unvorbereitet erwischt oder automatisch in die Verteidigung oder den Panikmodus getrieben. Stattdessen steht Ihr mit einer durchdachten und erprobten Antwort bereit.
 

Erwartet das Unerwartete – und habt Berater*innen, die Euch helfen, einen kühlen Kopf zu bewahren!

Wie bei jeder Lobbyarbeit ist die Planung eher Alchemie als Wissenschaft! Ihr wisst nicht, wie sich die Dinge entwickeln oder wie die Menschen auf Eure Kampagnenbeiträge reagieren werden. Obwohl die Planung für das Unvorhersehbare wie ein Oxymoron klingen mag, ist die Einführung eines Prozesses für diese unerwarteten Herausforderungen (insbesondere starke Angriffe) ein guter Ausgangspunkt. So kann es beispielsweise wirklich hilfreich sein, auf eine Gruppe von Berater*innen zurückzugreifen, die nicht so emotional in die Kampagne eingebunden sind wie die Teammitglieder, und Euch unterstützen, sich auf die potenziellen strategischen Risiken verschiedener Reaktionen zu konzentrieren.

FALLBEISPIEL 2 - Shrewsbury Kampagne für ein Gebetszentrum – HOPE not hate – Großbritannien
Der Bauplanungsantrag in Shrewsbury war ein eher lokales Thema und eine Debatte, die in einem städtischen und regionalen Umfeld stattfand. Der gesamte Kampagnen- und Planungsprozess dauerte von April bis Juni 2013. Am 22. Mai töteten jedoch muslimische Terroristen in London einen Soldaten auf der Straße. Dies löste in der Presse eine anti-muslimische Gegenreaktion aus. Aufbauend auf dieser Dynamik beschloss eine rechtsextreme Gruppe, die English Defence League (EDL), eine Kundgebung gegen den Planungsantrag abzuhalten, die die Spannung um das Thema deutlich erhöhte. Dies war ein unerwarteter Moment in der Kampagne, der sogar die Anhänger*innen der Kampagne polarisierte, wobei einige gegen die EDL protestieren wollten. HOPE not hate konnte sie jedoch davon überzeugen, dass dies nicht den Kampagneninteressen dienen würde, da in dieser kleinen konservativen Stadt beide Seiten sonst als radikal gelten würden.

 

Bereitet Euch auf Herausforderungen aus unvorhergesehenen Richtungen vor – sogar aus Eurer Community.

Sich mit der Mitte auseinanderzusetzen und sie anzusprechen, ist keine Kommunikationstaktik, die jede*r unterstützt, und einige auf der liberaleren bzw. linken Seite sind sehr vorsichtig, ihre Botschaft in eine konservativere Richtung zu lenken. Wir haben dies in Abschnitt 1 ausführlich diskutiert, besonders in Bezug auf die Frage eines narrativen Raums, mit dem man leben kann. Leider erzählten uns viele erfahrene Aktivist*innen Geschichten über starken Gegenwind gerade von jenen, von denen sie sich Unterstützung für ihre Kampagnen erhofft hatten. Ein Beispiel dafür:

FALLBEISPIEL 1 – Mohnblumen-Hijab-Kampagne – British Future – Großbritannien
Die Mohnblumen-Hijab-Kampagne von British Future ist ein gutes Beispiel für eine Kampagne, die einigen auf der linken Seite untragbar erschien mit ihrem Appell an Patriotismus, der auf einem historischen militärischen Sieg basiert. Und tatsächlich spaltete die Kampagne:
  • In einer bekannten, linksgerichteten Publikation/Veröffentlichung erhob ein Kommentator folgende Anschuldigung: „Der Mohnblumen-Hijab ist nur Islamophobie mit einem floralen Motiv.“
  • Die Models, die auf dem Hauptfoto der Kampagne den Hijab trugen, wurden auch auf Twitter von den Linken verfolgt, sodass sie sich weigerten, an weiteren Veranstaltungen der Kampagne teilzunehmen.
British Future hatte kritische Reaktionen der Linken vorhergesehen und war nicht sehr besorgt darüber, da sie in diesem politischen Bereich keinen großen Unterstützer*innenkreis oder Geldgeber*innen haben. Ihre Bedenken und Planungen waren viel mehr auf die Antworten aus der Mitte gerichtet.


Nach unserer Erfahrung sind viele Organisationen, mit denen wir zusammenarbeiten, in der Tat besorgt, die Unterstützung ihrer Basis zu verlieren, und deshalb würden wir Euch einen ‘Vorbereitungsprozess’ eben dort empfehlen, damit Eure Basis weiß, dass eine solche Kampagne bevorsteht und warum Ihr Euch dafür entschieden habt, auf diese Weise eine Botschaft zu übermitteln. Im besten Fall kann es nützlich sein, wenn Eure Kampagne zur Mitte mit einer weiteren Kampagne einhergeht, die bis zur Basis reicht. Auf diese Weise können beide Kampagnen als eine intelligente, breitere Strategie gesehen werden, um überlappende Ziele in einer strategischen Richtung zu erreichen. Dieser Ansatz veranschaulicht einen unserer Schlüssel zur Neuausrichtung der Migrationsdebatte, bei der die Aktivist*innen eine Bewegung aufbauen müssen, die auf verschiedenen Ansätzen für verschiedene Segmente basiert und diejenigen respektiert, die jedem oder jeweils einem der drei Ansätze folgen.  
 

CHECKLISTE FÜR DIE PLANUNG
Schritt 4.4 - Bereitet Euch darauf vor, Eure Position zu verteidigen
  • Welche Arten von Herausforderungen an Eure Erzählungen erwarten Euch (von konstruktiv bis trollend)? Von welcher Seite? Denkt über die Richtungen nach, aus denen Herausforderungen/Konfrontationen kommen können.
  • Welche Pläne habt Ihr, um auf diese Angriffe zu reagieren, falls sie kommen?
  • Wie wird Euer Prozess zur Formulierung einer Antwort auf unerwartete Herausforderungen aussehen und wen werdet Ihr in den Prozess einbeziehen?

 

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